Unzweifelhaft gehört das Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ zu den schönsten und eindrucksvollsten Weihnachtsliedern, die wir kennen. Schon fast ein halbes Jahrtausend erfreut dieses Werk die Herzen der Menschen. Eine weihnachtliche Erinnerung voller Dankbarkeit und Freude. Der Text des ursprünglich zweistrophigen Liedes geht zurück auf einen Mainzer Dichter um 1587/88. Der protestantische Komponist Michael Prätorius schuf 1609 neben dem Text der zweiten Strophe einen weit verbreiteten vierstimmigen Chorsatz.
„Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art und hat ein Blümlein bracht mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht.“
Ein Schlüssel, den Text richtig zu verstehen, liegt in dem Satz: „wie uns die Alten sungen“. Auf eine alte Tradition wird hier verwiesen, auf jene des Propheten Jesaja, der bereits den Heiland ankündigte: „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.“ (Jes 11,1-9). Ein alter Baumstumpf, den man schon lange tot glaubte, treibt also wieder aus; der neue Trieb, ein Reis bringt eine Rose hervor. Diese alte Wurzel wird „Jesse“ genannt. Das ist das lateinisch mittelalterliche Wort für „Isai“, so hieß der Vater von König David.
„Das Röslein, das ich meine, davon Jesaja sagt, ist Maria, die Reine, die uns das Blümlein bracht. Aus Gottes ewgem Rat hat sie ein Kind geboren und blieb doch reine Magd.“
Der Beginn der zweiten Strophe weist darauf hin, dass mit diesem „Blümlein“ Jesus gemeint ist. Der Rosenzweig, das ist Maria. Obwohl sie die Botschaft des Engels vom Kopf her nicht begreift und nicht weiß, wie ihr geschieht, sagt sie Ja zu Gottes Plan. Als „reine Magd“ verdeutlicht sie uns in jenem prophetischen Bild der „Jungfrauengeburt“ (Jes 7,14), das Herkommen Jesu aus dem Geheimnis Gottes.
„Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß; mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis, wahr‘ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod.“
Die dritte Strophe stammt von dem protestantischen Pfarrer Friedrich Layriz, sie trifft die wesentlichen Aussagen über dieses „Blümlein Jesus“. Eine sehr starke Metapher soll dabei helfen, nämlich der Duft. Die „Süße“ ist der Inbegriff für Sehnsucht, Frieden und Glück. Die Formulierung „mit seinem hellen Scheine vertreibt‘s die Finsternis“ erinnert an ein weiteres Wort des Propheten Jesaja, nämlich: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“ (Jes 9,1).
Stanislaus Klemm, Dipl. Psychologe und Theologe, In: Pfarrbriefservice.de