Schlagwort-Archive: Teresa von Avila

Gott spricht

Bei einem meiner ersten Besuche in der Annakirche fand ich in dem Gotteslob, in dem ich blätterte, ein Gebetsbildchen.

Der Text sprach mich so sehr an, dass ich nicht anders konnte, als es mitzunehmen.
Natürlich dachte ich auch darüber nach, ob es jemand vermissen würde, gar zurückkommen, um es zu suchen und ob ich einen Diebstahl begangen hätte.
Aber der Fund bedeutete damals eine langersehnte Antwort auf eine noch nicht einmal klar formulierte Frage, sodass ich hoffte, dieser jemand würde es mir unter diesen Umständen schon gönnen.

O Seele, suche Dich in Mir,
und, Seele, suche Mich in Dir.

Die Liebe hat in Meinem Wesen
Dich abgebildet treu und klar;
kein Maler lässt so wunderbar,
o Seele, Deine Züge lesen.
Hat doch die Liebe Dich erkoren
als Meines Herzens schönste Zier;
bist Du verirrt, bist Du verloren,
o Seele, suche Dich in Mir.
In Meines Herzens Tiefe trage
Ich Dein Portrait, so echt gemalt;
sähst Du, wie es vor Leben strahlt,
verstummte jede bange Frage.
Und wenn Dein Sehnen Mich nicht findet,
dann such nicht dort und such nicht hier;
gedenk, was Dich im Tiefsten bindet,
und, Seele, suche Mich in Dir.

Du bist Mein Haus und Meine Bleibe,
bist Meine Heimat für und für;
Ich klopfe stets an Deine Tür,
dass Dich kein Trachten von Mir treibe.
Und meinst Du, Ich sei fern von Dir,
dann ruf Mich, und Du wirst erfassen,
dass ich Dich keinen Schritt verlassen:
Einander sind Erfüllung Wir.

Teresa von Avila
(Übersetzung Erika Lorenz; letzte Strophe abgewandelt)

 

All diese Zeit hat mich dieses Gebet treu begleitet, und als ich kürzlich wieder einmal Zuflucht dazu nahm, kam mir unversehens ein neuer Gedanke (denn es ist ja so, dass man jedes Ding von mehr als einer Seite sehen kann):

Was, wenn das Zettelchen damals absichtlich zurückgelassen wurde, damit es gefunden wird und damit es einem anderen Menschen Freude und Beistand bringt?

Auf jeden Fall möchte ich mich bei dem oder der Unbekannten sehr herzlich bedanken. Und selbst wenn die Spende unfreiwillig war, vertraue ich darauf, dass sie oder er wiederum anderswo eine glückliche Entdeckung macht!

Das Original-Beichtbild stammt vom Canisiuswerk Wien und enthält ein Bild von Sieger Köder: Die Frau am Jakobsbrunnen.

Sehnsucht nach Gott!

Monatsgedanken Dezember 2011

Eine Geschichte erzählt von einem Gottsucher, der einen weisen Mann fragt, wie er Gott finden könnte. Der weise Mann antwortete nicht, sondern packte den Gottsucher, zerrte ihn zu einem Brunnen und drückte dessen Kopf unter Wasser, so als ob er ihn ertränken wolle. Als er ihn wieder losließ, rang der Gottsucher erst einmal gierig nach Luft. Daraufhin fragte der weise Mann: „Und? Was hast du gefühlt, als dein Kopf unter Wasser war?“ Der Gottsucher antwortete: „Ich spürte eine unendliche Sehnsucht nach Luft.“ Der Weise entgegnete: „Wenn dein Verlangen nach Gott ebenso stark ist, wie diese Sehnsucht nach Luft in jenem Augenblick, dann wirst du Gott finden.“

„Gott ist so groß“, meinte Teresa von Avila (1515-1582), „dass er es wohl wert ist, von uns ein Leben lang gesucht zu werden.“ In einer solchen Aussage wird die große Sehnsucht spürbar, die diese spanische Mystikerin und Kirchenlehrerin geleitet haben muss. Gott ist so groß, dass all mein Sehnen nicht ausreicht, um ihn wie ihm Hohelied schon in diesem Leben packen und nicht mehr loslassen zu können.

Franz von Sales denkt ähnlich. Erst nach unserem Tod wird die Tugend der Sehnsucht ihre Aufgabe erfüllt haben. Bis dahin aber bleibt das Verlangen nach Erkenntnis bestehen. Und so soll es auch sein, damit unser Blick auf das gerichtet sei, was wirklich wesentlich ist: Gott und seine ewige Herrlichkeit.